Der Kaktus auf Sardinien
Philipp Strebel Kommentare 0 Kommentare
Geschichte, Nutzung und ein süßes Erbe
Ein stacheliger Begleiter seit Jahrhunderten
Auf Sardinien ist der Kaktus – genauer gesagt der Feigenkaktus (Opuntia ficus-indica) – seit Jahrhunderten ein fester Bestandteil der Landschaft. Ursprünglich stammt er aus Mexiko und kam im Zuge der Entdeckungsreisen im 15. und 16. Jahrhundert mit den Spaniern nach Europa. Schnell fand die Pflanze auf der sonnenverwöhnten Mittelmeerinsel ideale Bedingungen: viel Licht, wenig Wasser und steinige, kalkhaltige Böden.
Schon im 17. Jahrhundert war die Pflanze weit verbreitet – zunächst wild wachsend, dann zunehmend kultiviert und gezielt gepflanzt.

Kaktus als natürliche Grundstücksgrenze
Traditionell wurde der Feigenkaktus auf Sardinien genutzt, um Grundstücke voneinander abzugrenzen. Die dichten, mit Dornen bewehrten „Zäune“ aus Kaktusblättern – den sogenannten „Pale“ – boten nicht nur Sichtschutz, sondern hielten auch Tiere fern. Diese Form der natürlichen Abgrenzung war besonders in ländlichen Regionen weit verbreitet und ist noch heute in vielen Gegenden sichtbar.
Die Kaktusfeige: Eine Frucht mit Charakter
Die Frucht des Kaktus – auf Sardinien als figu morisca, figu de India oder einfach fico d’India bekannt – ist ein echter Schatz. Sie reift in den heißen Sommermonaten und wird im Spätsommer bis in den Oktober hinein geerntet. Es gibt sie in verschiedenen Farbvarianten:
Gelb-orange (Sulfarina): mild, süß und sehr saftig
Rötlich (Sanguigna): aromatisch, leicht herber, mit intensiver Farbe
Weißlich-grün (Muscaredda): etwas fester, zart und fein im Geschmack
Jede dieser Sorten hat ihre Liebhaber – und gemeinsam sind sie eine sardische Delikatesse, die nicht nur pur genossen, sondern auch zu Likören, Marmeladen, Sirupen oder Desserts verarbeitet wird.
Ernte mit Fingerspitzengefühl
Die Ernte ist mühsam: Die feinen, kaum sichtbaren Glochiden (Miniaturstacheln) der Kaktusfeige machen das Pflücken ohne Schutzkleidung oder spezielle Werkzeuge fast unmöglich. Früher sammelte man die Früchte in der Morgendämmerung, wenn der Tau die feinen Stacheln gebunden hatte. Heute kommen oft Maschinen oder Handschuhe und spezielle Werkzeuge zum Einsatz.

Kaktusfeigen-Dessert: Sorbetto di Fichi d’India
Ein beliebtes sardisches Dessert ist das Sorbet aus Kaktusfeigen – erfrischend, farbenfroh und voller Sommeraromen.
Zutaten für 4 Personen:
1 kg reife Kaktusfeigen (am besten rote oder gelbe Sorten)
100 g Zucker (je nach Süße der Früchte)
1 Bio-Zitrone (Saft + etwas Abrieb)
1 EL Honig (optional)
100 ml Wasser
Ein paar Minzblätter zur Dekoration
Zubereitung:
Schälen: Die Kaktusfeigen vorsichtig schälen (Handschuhe tragen!) und das Fruchtfleisch in einen Mixer geben.
Pürieren und passieren: Die Früchte pürieren und durch ein feines Sieb streichen, um die Kerne zu entfernen.
Sirup kochen: Zucker, Wasser, Zitronensaft und -abrieb in einem kleinen Topf erhitzen, bis sich der Zucker auflöst. Abkühlen lassen.
Mischen: Den Sirup unter das Fruchtpüree rühren, nach Belieben mit Honig abschmecken.
Einfrieren: In der Eismaschine gefrieren oder in einer flachen Schale ins Gefrierfach geben. Dabei alle 30 Minuten umrühren, um die Konsistenz geschmeidig zu halten.
Servieren: In Gläsern oder Schälchen anrichten und mit frischer Minze garnieren.

Kulturelle Bedeutung & Wiederentdeckung
Heute erlebt der Feigenkaktus auf Sardinien eine Renaissance: Junge Produzenten veredeln die Frucht zu Konfitüren, Essig oder kosmetischen Ölen. Auch in der Permakultur und beim Erosionsschutz spielt die Pflanze eine wachsende Rolle. Sie steht exemplarisch für die sardische Fähigkeit, aus kargen Bedingungen Köstliches zu schaffen.
Fazit
Der Kaktus auf Sardinien ist mehr als nur stacheliger Wildwuchs – er ist ein stiller Zeuge der bäuerlichen Kultur, ein kulinarischer Schatz und ein Sinnbild für die kreative Nutzung natürlicher Ressourcen. Die Kaktusfeige, so schlicht sie erscheinen mag, erzählt eine Geschichte von Anpassung, Überleben und süßer Überraschung.